Fernfahrerstammtische: „Wir möchten Sie alle wiedersehen!“

Lkw-Fahrer und Spediteure im Gespräch auf Augenhöhe mit der Polizei – geht das? Na klar! Seit mehr als 20 Jahren laden bundesweit die Fernfahrerstammtische monatlich zum ungezwungenen und lockeren Austausch beider „Lager“ ein. Aktuell unterliegen natürlich auch diese wichtigen Gesprächsrunden den Corona-Schutzverordnungen der Bundesländer. Doch für die Moderatoren steht fest: Sobald es wieder möglich ist, laden die Stammtische wieder zum gemeinsamen Gespräch.

Nicht nur bei brisanten Themen wurde es bei vielen Fernfahrerstammtischen voll.
Martin Hottinger möchte auch in Zukunft mit den Fahrern im Gespräch bleiben.

Fernfahrerstammtische gibt es an vielen Autobahnen, in größeren Bundesländern sogar mehrere. Bei allen sitzt die Polizei mit am Tisch. Mehr als 30 dieser informellen Treffpunkte gebe es deutschlandweit, berichtet Polizeihauptkommissar Martin Hottinger, der das bundesweite Netzwerk koordiniert.

Vielerorts unterstützen Berufsverbände des Transportgewerbes, das BAG, Mitarbeiter*innen von der Landesdirektion Sachsen und anderer Bundesländer, die die Arbeitszeiten generell und die Lenk- und Ruhezeiten nach Unterwegskontrollen durch die Polizei verfolgen, oder die technischen Überwachungsorganisationen, aber auch zahlreiche Rast- und Autohöfe, die Monat für Monat Platz und Raum bieten.

Martin Hottinger selbst leitet seit 2002 einen solchen Stammtisch an der A 4 bei Bautzen.Seine Bilanz ist durchweg positiv: „Normalerweise treffen Fahrer und Beamte nur bei Kontrollen auf der Autobahn aufeinander“, so Hottinger. „Da kann der Ton schon mal rauer sein. Diese Begegnungen stehen ja unter dem psychischen Druck einer Kontrollsituation.“

Beim Stammtisch können beide Seiten dagegen in lockerer Atmosphäre ihre Sorgen und Nöte austauschen und gemeinsam nach Lösungen für Probleme im Fahreralltag suchen.

„Im besten Fall geht man anschließend mit dem Verständnis füreinander auseinander.“

Ziel: 50 % weniger Unfalltote

Die Zahl der Unfalltoten zu halbieren, das sei damals einer der maßgeblichen Gründe gewesen, diese Gesprächsrunden ins Leben zu rufen. „Oft waren Lkw in Unfälle mit tödlichem Ausgang verwickelt. Man hat damals erkannt, wie wichtig Prävention und Aufklärung sind.“

Dass gelegentliche Großveranstaltungen sich nicht zu diesem Zweck eignen, war den Verantwortlichen schnell klar. Wichtig war, einen regelmäßigen und wiederkehrenden Termin an ein und demselben Ort zu finden.

Vorreiter: Nordrhein-Westfalen

Nordrhein-Westfalen setzte im Jahr 2000 als erstes Bundesland Verkehrssicherheitsberater auf Autobahnen ein, um ständig steigenden Unfallzahlen Einhalt zu gebieten und wirksame Projekte zur Erhöhung der Verkehrssicherheit zu entwickeln. Ganz gezielt wurden dabei für drei Zielgruppen Präventionsprogramme ausgearbeitet und angeschoben: Junge Fahrer (18 bis 24 Jahre), aktive Senioren sowie Berufskraftfahrer. Diese Vorgabe führte schließlich zur Geburtsstunde der Fernfahrerstammtische.

Schrittweise schlossen sich Innenministerien, Polizeipräsidien und Autobahndienststellen bundesweit dem Gedanken an. „So war es auch bei mir“, grinst Hottinger. „Irgendwann bekam ich einen Anruf vom sächsischen Innenministerium. Dort war bekannt, dass ich irgendwas mit Lkw-Fahrern zu tun hätte. Daher hielt man mich für den Richtigen, da mal etwas aufzubauen.“ Die Fahrer, die Hottinger als Moderator des Bautzen-Stammtisches kennen, würden jetzt sagen: „Eine bessere Wahl hätte man nicht treffen können.“

Voneinander lernen

Mit seinen bundesweiten Moderatoren-Kollegen ist Hottinger im guten Gespräch. Es gibt einen jährlichen Austausch. „Das ist wichtig. Wir lernen alle voneinander und so bringen wir die Arbeit rund um die Stammtische auch weiter. Verkehrsexperten betonen nach wie vor, wie wichtig es ist, mit den Berufskraftfahrern im Dialog zu bleiben. Sie seien die Personengruppe, deren Verhalten wesentlich zum Verkehrsgeschehen auf Autobahnen beiträgt.“

In Sachsen sei es mittlerweile zu einer stets wiederkehrenden „Jahresaufgabe“ geworden, weitere Stammtische aufzubauen, berichtet Hottinger. „Wir erfahren hier eine tolle Unterstützung durch das Landesamt für Straßenbau und Verkehr. Als gutes Beispiel ist hier die unkomplizierte Errichtung von Spiegeleinstellplätzen zu nennen.“

Aha-Erlebnis

Fahrer, die zum ersten Mal an einem Stammtisch teilnehmen, haben an diesem Abend ein richtiges „Aha-Erlebnis“: Mit Polizeibeamten in einer ungezwungenen und stressfreien Atmosphäre zu sprechen, ist den meisten unbekannt. Sie kennen nur die Situation bei Verkehrskontrollen und sind daher überrascht, dass Polizisten auch zuhören und informieren können. Beide Seiten reden hier Klartext, fundierte und konstruktive Kritik seitens der Fahrer nehmen sich die Polizisten durchaus zu Herzen und so manch einer sieht nach zehn Jahren Stammtisch auch den Lkw-Fahrer in einem anderen Licht.

„Früher hatten wir gleich zu Jahresbeginn die Themen für die einzelnen Monate festgelegt“, erzählt Hottinger aus der Vergangenheit. „Mit der Zeit zeigte sich aber, dass es besser ist, Themen aufzugreifen, die gerade aktuell sind. Wobei es natürlich auch Dauerbrenner gibt, die nie aus der Mode kommen – etwa Lenk- und Ruhezeiten oder die Bedienung des Tachographen.“

Unterstützung durch Fach-Referenten

An manchen Abenden werden die Moderatoren durch Referenten fachlich unterstützt. „Das können Richter oder Staatsanwälte sein. Aber auch Dozenten für Psychologie im Straßenverkehr der Polizei-Hochschule.“ Weitere Themen, die Fahrern häufig unter den Nägeln brennen würden, seien der Tatort Parkplatz und das dortige Planenschlitzen oder der Einsatz einer Dash-Cam im Lkw. Die Polizei kann anlässlich einer Stammtischrunde aber auch helfen, einen Bußgeldbescheid zu verstehen. Und so bestätigt sich am Fernfahrerstammtisch, was auch für den Rest des Lebens gilt: Reden hilft – zumindest meistens.

Zu den Fans der Stammtische zählen nicht nur Berufskraftfahrer. Auch Spediteure oder Disponenten sind oft unter den Teilnehmern auszumachen. „Mir ist eine Spedition bekannt, deren Fahrer sind aufgefordert, an fünf Stammtischen im Jahr teilzunehmen und darüber eine Bescheinigung vorzulegen – sonst ist das Weihnachtsgeld futsch. Als Nachweis dient unser Stammtisch- Pass.“

Präventions-Aufklärungsarbeit

Doch die Polizei nutzt nicht nur den runden Tisch für ihre Präventions-Aufklärungsarbeit. Die Kampagne „Eis und Schnee auf Lkw – sicher durch den Winter“ hat sich in den letzten Jahren durchgesetzt. Zwar hat die Polizei keine Gerüste, von denen die Fahrer gefahrlos ihre Dächer von Eis und Schnee räumen können. Hier greift dann wieder die gute Zusammenarbeit mit den Autohöfen und Raststätten, die vielerorts durch die Aufstellung eines solchen Gerüstes diese Aktion mit unterstützen.

Auch DocStop entwickelte sich aus den Stammtischen heraus. „Der Gründervater der Stammtische, mein lieber Kollege Rainer Bernickel, hat daraus eine europaweite Initiative gemacht“, so Hottinger.

Darüber hinaus agieren die Stammtischteams mit Tagesveranstaltungen zu den klassischen Themen Ladungssicherung und Übermüdung/ Sekundenschlaf auf den Autohöfen und verbinden Kontrollen mit Aufklärung. Gespräche in Aktionszelten und der Einsatz von Fahrsimulatoren sollen den Fahrern hier Verkehrssicherheit anschaulich vermitteln.

Von einer Aktion schwärmt Hottinger ganz besonders. 2018 fand in Bautzen ein Kinderverkehrssicherheitstag unter dem Motto „Ruf Teddybär 1-4 beim Autobahnrevier“ statt. „Ein bunter Tag für Kinder, der ihnen gezeigt hat, wer im Straßenverkehr der gefährlichste Gegner ist. Der Höhepunkt des Tages war ein Konvoi mit 130 Zugmaschinen durch die Stadt, wo die Fahrer die Kinder im Lkw mitgenommen haben. Präventionsarbeit in dieser Dimension ist einfach großartig.“

Last but not least hofft Hottinger, dass die treuen Fernfahrerstammtisch-Besucher in ganz Deutschland wiederkommen, sobald es möglich ist. Mit vielen ihm bekannten Fahrern steht er aktuell in Email-Kontakt. „Wenn es Fragen gibt, klären wir es auf diese Art und Weise. Ich glaube fest daran, dass Corona uns nicht auseinander bringt!“

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